Jakobs Kampf am Jabbok

Exegese zu Genesis 32, 23-33 – Jakobs Kampf am Jabbok

Ein Brief vom 25.03.2020 ist der Anlass, mich mit dem Text aus Genesis 32, 23-33 auseinanderzusetzen. Mitten in der Corona-Krise haben mich die Zeilen erreicht und die darin transportierte Verzweiflung hat mich selbst in Verzweiflung gestürzt:

„Morgendliche Frage am Jaboksteg,
Als Theologin, als Pfarrerin, als Mutter, als Mensch, stehe ich unter dem Schirm einer Frage heute Morgen am Jaboksteg.
Ich habe schon, immer viel kämpfen müssen in meinem Leben. Ich musste kämpfen wie kaum andere es auf ihren Lebensweg tun müssen. Ganz häufig war ich am Jabbok Steg.

Für mich, die offene Frage ist, wie findet man den Zugang zur Quelle der Resilienz Kraft. Eine theologische Frage. …“

Was antworten, wie beistehen. Warum werde gerade ich mit diesen Fragen konfrontiert? Warum erwartet sie ausgerechnet von mir eine Antwort dazu? Traut sie mir das tatsächlich zu?
– Überforderung, Ablehnung, Sprach- und Hilflosigkeit.

Genesis 32, 23-33: Jakobs Kampf am Jabbok

23 Und Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden Mägde und seine elf Söhne und zog durch die Furt des Jabbok.
24 Er nahm sie und führte sie durch den Fluss, sodass hinüberkam, was er hatte.
25 Jakob aber blieb allein zurück. Da rang einer mit ihm, bis die Morgenröte anbrach.
26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt.
27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.
28 Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob.
29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen.
30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißt du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst.
31 Und Jakob nannte die Stätte Pnuël: Denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.
32 Und als er an Pnuël vorüberkam, ging ihm die Sonne auf; und er hinkte an seiner Hüfte.
33 Daher essen die Israeliten nicht das Muskelstück auf dem Gelenk der Hüfte bis auf den heutigen Tag, weil er den Muskel am Gelenk der Hüfte Jakobs angerührt hatte.

„Jakobs Kampf am Jabbok ist eine biblische Erzählung (Gen 32,23–33). Sie enthält die einzige Beschreibung eines Ringkampfs in der Genesis und das in der Bibel singuläre Motiv, dass der Segen einem göttlichen Wesen abgerungen wird.“ Quelle: Wikipedia, zuletzt abgerufen 29.03.2020.

Exegese zu Jakobs Kampf am Jabbok

Kampf mit der Familie, der Sippe.
In unserem Leben wollen wir so viel bewegen und erreichen. Wir bauen auf unser Ich, auf unsere Fähigkeiten, verlieren uns im Alltäglichen, in unseren Ängsten, Sorgen und Nöten. Wir rennen, streiten, ereifern uns. Wir wissen besser, machen besser, maßregeln, setzen uns ab, bauen Wagenburgen, häufen an, scheffeln, studieren, forschen, streiten, diskutieren. Wir vergleichen, teilen ein und zu, urteilen, lieben und hassen, wollen Recht haben und Recht bekommen, rufen nach Gerechtigkeit.

Kampf um höher, weiter, schneller, besser, mehr.
Mit der Aufklärung, mit Forschung und Wissenschaft hat der Mensch endgültig angesetzt, sich über die Schöpfung und den Schöpfer zu erheben. Der Glaube an die eigenen Fähigkeiten, an den Fortschritt und der daraus folgenden Lösung aller Probleme hat direkt in die absolute Hybris des Menschengeschlechts geführt.

Kampf mit Gott, Göttern, Dämonen, Engeln.
Und der Mensch setzt so an, über sich und seine Natur hinauszuwachsen. Aber mit der Konsequenz, dass er sich und seinen Platz in der Schöpfung verlieren wird. Was wird nach ihm kommen? Völlig unklar. Werden es, wie Harari meint, tatsächlich höhere, unbelebte Intelligenzen bzw. Algorithmen sein? Wird die unbelebte Materie die belebte Materie überdauern oder wird einfach nur der Äon des Menschen, der Krone der Schöpfung vorbei sein?

Kampf mit sich selbst.
Wer sich tatsächlich auf den Kampf am Jabbok einlässt, lässt sich auf den Kampf mit sich, mit seinem Selbst ein. Ein existentieller Kampf des Ich mit seinem Selbst. Ein Kampf mit dem in der Schöpfung, in dir und deinem Selbst menschgewordenen Gott. Darum besiegt er dich nicht, darum besiegst du ihn nicht. Wie auch. Man kann vielleicht sein eigenes Begehren, seine Wünsche und Sehnsüchte besiegen, aber man kann Gott nicht besiegen. Mann kann vielleicht sein Selbst nicht kennen, es ignorieren oder negieren, aber man kommt nicht um das Selbst herum. Es wird sich immer wieder zu Wort melden und einfordern, was uns in der Schöpfung von Gott als Geschöpf mitgegeben ist.

Das Selbst wird sich solange melden, bis wir uns aufmachen.
Womit? Mit all unserem Hab und Gut, mit unserer Familie?
Wohin? Zur Sippe, zum Menschengeschlecht, zur Welt, zur Schöpfung?

Nein, das sind alles Schattenfechtereien, bis wir uns schließlich mit unserem nackten und bloßen Ich aufmachen und alles andere ziehen lassen. Bis wir uns aufmachen zu uns selbst, uns von allem äußeren absondern und bei uns einkehren. Bis wir alles über den Grenzfluss Jabbok gehen lassen und so allein zurückgeblieben den Kampf mit diesem Unbekannten, Namenlosen, diesem Fremden aufnehmen.

Dieses namenlose etwas ist nicht Gott, ist kein Engel und kein Dämon. Dieser namenlose Kämpfer ist unser unbekanntes, namenloses Selbst, das wir bisher nicht kannten, nicht beachtet, sondern vielmehr sträflich ignoriert und missachtet haben.

Diesen namenlosen Kämpfer können wir nicht besiegen, nicht kleinbekommen, weil Gott selbst in diesem Selbst als Schöpfer präsent und so zwar Mensch geworden ist, sich uns darin gleichstellt, wir aber ihn darin in diesem göttlichen auch nicht überwinden können.

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Wir können IHN in und mit unserem Selbst nur empfangen. Indem wir dies zulassen, empfangen wir die emotionale Verankerung des Ich im Selbst. Indem wir dies zulassen, wird sich unser Ich bewusst. Bewusst, Geschöpf zu sein, bewusst, Teil der Schöpfung zu sein, seiner Natur und dessen Schöpfer bewusst, wird wahres Bewusstsein empfangen.

Und damit kommt das Ich in die Lage auf den Griff nach der Frucht am Baum des Lebens zu verzichten, wird das Ich sich seiner Hybris, den Allmachtsphantasien, dem Drang nach Unsterblichkeit, dem Streben sich über seine in der Schöpfung vom Schöpfer gegeben Natur zu erheben, bewusst. Das ist es, was meiner Meinung nach Harari in seinem Buch Homo Deus sieht, aber nicht erkennt.

„Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, rührte er an das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde über dem Ringen mit ihm verrenkt. … und er hinkte an seiner Hüfte.“ Das ist es, was wir aus dem Ringen mit unserem Selbst am Jabbok mitnehmen. Das Ich wird in seiner Hybris geschlagen, der Mensch zurückgeworfen auf seine Natur, sein Selbst, sein Sein in der Schöpfung.

Kampf des Ich mit dem Selbst.
Gott ist menschgewordener Teil im Selbst. Gott ist so in der Schöpfung und in seinen Geschöpfen gegenwärtig. Indem wir unser Ich im Selbst emotional verankern, finden wir zu uns, bleiben als Geschöpf Teil der Schöpfung, entsprechen so unserer gegebenen Natur und ruhen in Gott unserem Schöpfer. So können wir unserem Hab und Gut, unserer Familie, unserer Sippe, dem Menschengeschlecht, der Schöpfung in Frieden und Versöhnung begegnen, können wir Schwester und Bruder gegenübertreten.
Nicht zuletzt, weil wir durch diese emotionale Verankerung des ich im Selbst einen neuen Namen erhalten: Israel.

Dieser Name „lässt sich mit ‚Gott streitet (für uns)‘ oder ‚Gott möge (für uns) streiten‘ und ‚Gott herrscht‘ oder ‚Gott möge herrschen‘ übersetzen“.
Und Antonius der Große hat es noch klarer gesehen. Er „übersetzte in seinem dritten Brief den Namen Israel mit ‚Verstand, der Gott sieht‘“. Quelle: Wikipedia

Mit der Verankerung des Ich im Selbst, sind wir wieder bei Verstand. Was uns bis dahin den Verstand rauben wollte, ist nun klar, zurechtgerückt und in großer Ruhe.

Wir können unseren Weg gehen, zurückkehren zu Hab und Gut, zu Familie, zu Sippe und zu Schwester und Bruder im Menschengeschlecht. Und Gott wird in unserem Selbst als menschgewordener Teil in uns präsent sein. Das ist sein Segen, dass indem unser Ich im Selbst emotional verankert ist, wir bei Verstand sind und Gott als Schöpfer sowie uns als integralen Teil seiner Schöpfung begreifen und bewusst werden.

Resilienz des Ich aus dem Selbst
Ist das nicht ein wunderbarer Weg, um Resilienz zu schöpfen?! In der Kontemplation kommen wir zur Ruhe, kommen zu uns selbst und nehmen wahr, was uns beschäftigt, uns umtreibt. Und es wird ruhig in uns und plötzlich wird alles ganz klar. Ist klar, was jetzt dran ist, was unser Selbst dem Ich auf den künftigen Weg mitgibt, um im Getöse dieser Zeit ganz bei sich zu sein und das zu tun, was jetzt nötig und gut ist.

Und da sind wir plötzlich wieder bei Verstand, ist das Ich im Selbst emotional verankert und sehen so den Teil Gottes, der in unserem Selbst Mensch geworden ist.

Nicht zuletzt in Christus haben wir diesen menschgewordenen Gott als Beispiel: Gottessohn, Menschensohn und Bruder.

aponto – Stuttgart, 2020-03-29

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