Kontemplation und Aktion

Rogate: Predigt zu Lk 11, 1-13

„.. Tausend Gedankenfetzen schwirren durch meinen Kopf. Langsam wird es ruhig in mir. Der Atem gleitet: ein – aus, Christus – Jesus. Das Surren im Kopf und Flimmern vor meinen geschlossenen Augen schwinden. Ruhe und Stille tritt ein. ..“

https://youtu.be/qgJn4qmb8-0?t=1756

Hören wir auf den Predigttext aus Lukas 11:

1
Und es begab sich, dass er an einem Ort war und betete. Als er aufgehört hatte, sprach einer seiner Jünger zu ihm: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger lehrte.
2
Er aber sprach zu ihnen: Wenn ihr betet, so sprecht:
Vater!
Dein Name werde geheiligt.
Dein Reich komme.
3
Gib uns unser täglich Brot Tag für Tag
4
und vergib uns unsre Sünden;
denn auch wir vergeben jedem, der an uns schuldig wird.
Und führe uns nicht in Versuchung.
5
Und er sprach zu ihnen: Wer unter euch hat einen Freund und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote;
6
denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann,
7
und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben.
8
Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, so viel er bedarf.
9
Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.
10
Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan.
11
Wo bittet unter euch ein Sohn den Vater um einen Fisch, und der gibt ihm statt des Fisches eine Schlange?
12
Oder gibt ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion?
13
Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

Liebe Gemeinde,

in der Predigt heute möchte ich mit Ihnen zusammen über das Gebet und über Aspekte unserer Gebetspraxis nachdenken. Von Martin Buber wurde zum Thema Beten nachfolgende chassidische Erzählung aufgeschrieben:

Das volle Bethaus

Der Baalschem* blieb einst an der Schwelle eines Bethauses stehen und weigerte sich, es zu betreten.

„Ich kann nicht hinein“, sagte er, „es ist ja von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke übervoll der Lehre und des Gebets, wo wäre da noch Raum für mich?“

Und als er merkte, dass die Umstehenden ihn anstarrten, ohne ihn zu verstehen, fügte er hinzu: „Die Worte, die über die Lippen der Lehrer und Beter gehen, kommen nicht aus einem auf den Himmel ausgerichteten Herzen, steigen nicht zur Höhe auf, sondern füllen das Haus von Wand zu Wand und vom Boden bis zur Decke.“

Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Manesse 1949, S. 160f

*Rabbi Israel ben Elieser mit dem Ehrennamen „Baal Schem Tov“ (= Meister des guten Namens), gest. 1760,  ist der Begründer der chassidischen Frömmigkeitsrichtung im Judentum.

Rabbi Israel ben Eliser, genannt Baal Schem Tov, dem diese Erzählung zugeschrieben wird, geht hier der Frage nach dem wirkungsvollen Gebet und der dazu notwendigen Einstellung nach.

Was ist die Voraussetzung für ein Gebet?

Dass ich an einen gegenwärtigen Gott glaube, der durch gesprochene, gelesene Worte oder Gedanken von uns Menschen ansprechbar und erreichbar ist.

Was soll und kann ein Gebet leisten?

Ist ein Gebet lediglich Lob- und Preis Gott gegenüber? Wie ist es aber mit Bitte und Fürbitte. Lässt Gott sich durch Gebet erreichen und zur Hilfe, zur Änderung der Situation bewegen?

Was bewirkt ein Gebet beim betenden Menschen selbst? Zum Beispiel, wenn wir einen Psalm beten, wenn wir alleine oder in der Gemeinschaft beten, wenn wir in der Kontemplation, in der Stille in die betrachtende, schauende Zwiesprache mit Gott treten.

Im vorgelesenen Predigttext spricht Jesus ebenfalls darüber, was wie gebetet werden soll und ob denn das Gebet Wirkung hat.

Neben den im Vaterunser ausgesprochenen Bitten ist dem Evangelisten Lukas noch eine besondere Bitte wichtig:„.. wie viel mehr wird der Vater im Himmel den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!“

Ich möchte Sie einladen, dass Sie einen kurzen Augenblick darüber nachdenken, welche Haltung Sie selbst zum Gebet haben.

Vielleicht helfen Ihnen diese Fragen als Anregung:
Bete ich? Wann und was bete ich? Warum bete ich?
Hat sich mein Beten und meine Haltung dazu im Laufe meines Lebens verändert? Und auf welche Art und Weise? …

Auch ich habe mir in der Predigtvorbereitung viele Gedanken zu meiner Gebetspraxis gemacht. Auch über die Entwicklung meiner Gebete im Laufe meines Lebens. Wie war das Bedürfnis zu beten als Kind, als junger Erwachsener, als Ehemann und Vater in der Familie und nun als Mensch, der zu sich gefunden hat?

Für mich persönlich kann ich feststellen, dass es nicht wirklich ein richtig und falsch gibt, wenn es denn aus dem tiefen inneren Bedürfnis herauskommt, mit Gott in Beziehung, ins Gespräch zu treten.

Als Jugendlicher hatte ich in großer Verzweiflung Gott um ein eindeutiges Zeichen gebeten. Aus vernünftiger Sicht völlig töricht. Aber meine Not war sehr groß. Wenigstens von Gott wollte ich doch geliebt sein und das auch als Sicherheit in mir tragen.

Ungefähr ein halbes Jahr später, ich hatte das Gebet und meine Bitte schon lange wieder vergessen, da kam die Antwort. Unmissverständlich und klar. Gott hatte meine Bitte erfüllt und mir eine Antwort zukommen lassen. Das hat mich damals umgehauen, tief berührt und ich habe es fest in mir eingebaut. Gott liebt auch mich.

Heute, in vielen Dingen ruhiger, muss es nicht mehr die Bitte für dieses und jenes sein. Ich freue mich am einfachen, gemeinsamen Tischgebet. Am Psalmgebet in seiner Tiefe und Weisheit, am Vaterunser, an der andächtigen Stille und dem lobpreisenden Staunen in Gottes Schöpfung und Natur.

Vor ungefähr 7 Jahren habe ich einen Online-Kurs zur Kontemplation gemacht. Genauer war es ein Kurs zum kontemplativen Jesusgebet.

In einer Zeit großer Unruhe hat mich dieser Kurs auf den Weg vom ich zum Gegenüber, zum Du geführt. Durch das Jesusgebet und die Kontemplation bin ich in ein tiefes Verständnis zur Ich-Du-Beziehung geführt worden.

Von dieser Art des Betens und meinen Erfahrungen damit, möchte ich Ihnen heute ein wenig berichten und mit Ihnen teilen.

Damit verwandt sind die sogenannten Tagzeiten oder auch Stundengebete genannt. In allem ist gewisse Übung und Regelmäßigkeit nötig. Sie kennen das vielleicht von der Meditation her; oder vom Yoga, der Gymnastik, dem Sport: Körper und Geist möchten trainiert sein, benötigen Übung, Regelmäßigkeit und Rhythmus.

Die griechische Philosophie hat sich viel mit der Kontemplation, dem konzentrierten Betrachten beschäftigt. Im Christentum dann schließlich wird die Kontemplation zur Ausrichtung in der Ruhe und Stille auf Gott und seine Schöpfung.

Eine Sonderform der Kontemplation ist das Jesusgebet, das bei den byzantinischen Mönchen z.B. auf Athos noch heute gelebt wird.

Kontemplation – betrachten, schauen. Der Geist fokussiert sich auf das reine Wahrnehmen.

Mit geschlossenen Augen sitze ich da, bete fortwährend still im Rhythmus meines Atems: Christus Jesus, Christus Jesus.

Tausend Gedankenfetzen schwirren durch meinen Kopf. Langsam wird es ruhig in mir. Der Atem gleitet: ein – aus, Christus – Jesus. Das Surren im Kopf und Flimmern vor meinen geschlossenen Augen schwinden. Ruhe und Stille tritt ein.

Die offenen Hände bekommen Gewicht, pulsieren leicht. Spannung entsteht zwischen Ihnen, durchströmt sie. Mein Geist hebt sich. In das Dunkel der geschlossenen Augen tritt ein angenehmes Licht.

Die Beziehungen und Themen in meinem Leben sortieren sich, stehen vor mir und bekommen ihren Platz – große Ruhe und Klarheit.

Vater unser. Ich stimme ein dieses eine Gebet, das Jesus uns gelehrt hat. Mit einem tiefen Frieden, großer innerer Ruhe und Klarheit beende ich das Gebet, erhebe ich mich und kann an mein Tagwerk gehen.

Direkt vor unserer Predigtstelle berichtet Lukas von Marta und Maria, bei denen Jesus einkehrt. Die beiden beieinander lebenden Schwestern stehen für zwei unterschiedliche Ausdrucksformen von Leben: Die Kontemplation und die Aktion. Beides gehört zusammen; sie sind wie die Schwestern Marta und Maria. Beides hat seinen Ort und seine Zeit. Und wir sollten, mit Jesu Worten gesprochen, uns das gute Teil der Kontemplation neben der Aktion im Leben nicht nehmen lassen.

Das kontemplative Jesusgebet führt auf einen Weg der Betrachtung und der resonanten Beziehung. In ihm wird heilsame Begegnung mit dem Göttlichen geschenkt.

Viele Dinge in meinem Leben sortieren sich. Mir wird neu Klarheit geschenkt, Klarheit zu meinem Selbst. Ich kann so in eine tiefe innere Beziehung von Ich und Du treten, indem mein Ich das eigene Selbst schaut und betrachtet, und dadurch in eine resonante Beziehung eintritt.

Ich und Du. Die Größe der Beziehungsfähigkeit und auch -bedürftigkeit des Menschen ist mir für mich und mein Leben bewusst und präsent. In der Begegnung des eigenen Ich mit dem Du: dem Du im eigenen Selbst, dem Du im Gegenüber, dem Du in der Schöpfung, dem Du in Gott.

Und ich sage euch auch:
Bittet, so wird euch gegeben;
suchet, so werdet ihr finden;
klopfet an, so wird euch aufgetan.

Amen

Es gilt das gesprochene Wort.
Andreas Ponto / Böhringen, 2022-05-22

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