Esel und Beduine

1. Advent 2018 – Predigt zu Matthäus 21, 1-9

„Endlich werden die Heilsversprechen wahr.
Endlich einer, der alle Probleme dieser Erde im Handstreich lösen wird. Ein Held, wie aus dem Film geschnitten. Ein Supermann!

A star is born!“

Hören wir zunächst auf den Predigtext aus Matthäus 22, 1-9:
1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den
Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus
2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und
sogleich werdet ihr eine Eselin ange-bunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!
3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer.  Sogleich wird er sie euch überlassen.
4 Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den
Propheten, der da spricht (Sacharja 9,9):
5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«
6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,
7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider
darauf, und er setzte sich darauf.
8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.
9 Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
10 Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und
sprach: Wer ist der?
11 Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in
Galiläa.

Liebe Gemeinde,

Jesus zieht ein!

Ho ho ho, da sind wir dabei!
Schnell, schnell lasst uns gehen und …
Mist, wir haben keine Geschenke dabei.

Schnell, schnell –
ein paar Palmzweige gebrochen und auf den Weg gestreut.
Hopp, hopp – die Mäntel auf den Weg gelegt.

Ha, ha, er kann kommen – Hosianna!
Oh, oh, und er kommt wie die Schrift sagt:
auf einem Esel zieht er ein.

Du! Da, der neue König! Hosanna!
Wer? Der Esel?

Nein, du Schwachkopf – der Prophet Jesu!
Kennst du denn das Wort des Propheten Sacharja nicht?
„Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“ (Sacharja 9,9)

Ach, so… Hosanna, Hosanna!
Ruft alle mit! Hosanna, Hosanna!

Endlich wird alles gut!
Endlich wieder einen König, ganz nach dem Geschmack Gottes.
Viel mehr noch – ganz nach unserem Geschmack!

Endlich werden die Heilsversprechen wahr.
Endlich einer, der alle Probleme dieser Erde im Handstreich lösen wird. Ein Held, wie aus dem Film geschnitten. Ein Supermann!

A star is born!

So hoffte auch Jochen Klepper, der uns wohlbekannte Liederdichter, als er 1938 in „Der Vater“ schrieb:

„Herr, lass uns wieder einen König sehen,
bevor die Welt die Könige vergisst.
Denn sonst vermögen wir nicht zu verstehen,
nach welchem Maß man deine Ordnung misst.“

Ein Christ und Preuße durch und durch. Das Trauma nach 1914 präsent. Den Nationalsozialismus vor Augen, entwickelt er eine Gegenwelt zum braunen Sumpf und Morast: „… der König unter Gott, ihm unterstellt, in seinem Namen dem Volke dienend.“

Wo stehen die Völker heute?
Worin suchen diese heute ihr Heil?
Auf dem Weg so viele Heilsversprecher.

Wo stehen wir heute?
Worin sehen wir das Heil?

Die Sehnsucht nach dem Erlöser, dem Erlösenden, die Lösung, bei all den komplexen Themen und Problemen, dem unüberschaubaren Berg an Aufgaben, Anforderungen, der Komplexität und Vielschichtigkeit in unserem Dasein.

Hosanna! Ach, Herr, hilf doch!

Komm doch endlich einer, der Ordnung mache in diesem Chaos!
Einer der klare Kante zeigt und aufräumt.
Hosanna!

Und wenn er’s doch nicht richtet?

Dann jagen wir ihn halt zum Teufel.
Vielleicht richtet’s ja der nächste …
Einer wird’s schon richten.
Hosanna, hosanna!

So viele Heilsversprechen. So viel Glanz und Pomp.
So viele Irrlichter.

Und da kommt ER.

Auf einem Esel geritten;
liegt in der Futtergrippe im Viehstall.

Demütig, sanftmütig …

Sieht so der neue starke Mann aus?
Einer der sich durchsetzen wird?
Der auf den Tisch haut und reinen Tisch macht?

Klepper eröffnet uns eine andere Sicht:
Sohn eines Pfarrers – Theologiestudium abgebrochen.
Geheiratet – eine Jüdin, 13 Jahre älter und zwei Kinder im Gepäck.

Aber immerhin – getauft ist sie. Vielleicht schützt ja die Kirche.
Die große Tochter noch rechtzeitig nach England emigriert.

Trotz schriftstellerischem Erfolg und hoher Achtung beim Militär für
sein Werk „Der Vater“ – Berufsverbot.

Zum Kriegsdienst eingezogen – vielleicht hilf ja das.
Vielleicht beschützt dieser Dienst Frau und Tochter?

Nein, als wehrunwürdig aus dem Kriegsdienst entlassen.

Wie kann der nur mit einer Jüdin verheiratet sein und bleiben;
sich zu dieser Jüdin mit den fremden Kindern bekennen.

Die Schlinge zieht sich zu. Die Zwangsscheidung droht.

Einsatz für die Tochter. Einreise in die Schweiz wiederholt abgelehnt. Nach Schweden endlich doch zugesagt.

Ablehnung der Ausreise. Trotz eines Führsprechers durch Adolf Eichmann persönlich abgelehnt.

Die Deportation der geliebten Frau mit Tochter beschlossene Sache. Nein, ich lasse mich von euch nicht trennen.

Bis in den Tod – ich stehe zu euch.
Dann gehen wir gemeinsam in den Tod.

Letzter Eintrag im Tagebuch:
„10. Dezember 1942 –
Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst.
Wir sterben nun, ach, auch das steht bei Gott.
Wir gehen heute Nacht gemeinsam in den Tod.
Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des segnenden  Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“

11. Dezember 1942:
Selbstmord der Familie im Schlaf durch Gas.

Der begonnene Abtransport von Frau und Tochter in die Vergasung am kommenden Tag wird erfolglos abgebrochen.

Jochen Klepper:
Der sich bewusst zu Frau und Kinder bekennt und nicht von deren Seite weicht. Der bewusst kein Gesetz bricht, um seine Pflichten zu erfüllen. Und in all dem Erlebten keinen Moment an Christus zweifelt, sondern vielmehr bewusst ins Leiden mitgeht; sich dem nicht entzieht.

Für mich schwere Kost.

Offensichtlich auch für andere:
Klepper – Theologe, Journalist und Schriftsteller, einer der
bedeutendsten Dichter geistlicher Lieder des 20. Jahrhunderts,
der nach Luther und Gerhardt dritthäufigste Autor in unserem evangelischen Gesangbuch. Und trotzdem – im Gegensatz zu Bonhoeffer nicht im Evangelischen Namenskalender zu finden.

Klepper – der Antiheld.

Einer der Jesu Leben und Worte ernst genommen hat.
In übertragenem Sinn auch auf einem Esel geritten ist.
Vielleicht aber auch der Esel selbst war.

Und wo stehe ich?
Am Wegesrand nach Jerusalem?
Hosanna, Hosanna!?

Die Nacht ist vorgedrungen:

1) Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

2) Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

3) Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

4) Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

5) Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

Amen

„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre
eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.“ (Phil. 4, 7)

Andreas Ponto, 2018-12-02

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